Dienstag, 28. September 2010

Spiegelung I: Mao und die Vögel

Eine plötzliche Kälte, ein „schwarzer Winter“ überzog die Ostküste Grossbritanniens, niemand weiss, woher sie so schnell kam, „aus Russland vielleicht?“ Und mit der Kälte kamen die Vögel. „Es war wie vor Jahren, bei Kriegsbeginn“ Erst lauertenn sie, dann kam es zu kleineren Attacken. „Saatkrähen und Nebelkrähen, Dohlen, Elstern und Häher, alles Vögel, die sonst in kleineren Arten jagten; an diesem Nachmittag aber gehorchten sie einem anderen Befehl.“ „Sonst pflegten sie sich gesondert zu halten, jetzt flogen sie zusammen, wie durch ein Band vereint“. Der Kampf um Überleben scheint für die Vögel aufgehoben für ein höheres Ziel im offensichtlich orchestrierten Kampf gegen den Menschen: Wer gab ihnen das Signal für ihren plötzlichen Angriff? Der Hunger? Oder waren doch eher so wie man munkelte, die Russen schuld daran, „sie hätten die Vögel vergiftet.“
In diesem Szenario verbarrikaridiert sich Nat Hocker mit seiner Familie, „wie in einem Luftschutzbunker“. Während der Flut hören sie das Scharren der Vögel, die ihre Schnäbel in jede Ritze steckten und auf das Haus niederprasseln. Draussen stürzen die Flugzeuge der Armee ab, gekommen um es vielleicht „mit Gas versuchen, Senfgas“, von Vögeln zu Fall gebracht, die „sich todesmutig gegen Propeller und Rumpf schleuderten“. Am nächsten Morgen, bei Ebbe zeigt sich das Bild einer von toten Vögeln übersäten Landschaft, „Selbstmörder, die sich das Genick gebrochen hatten“. Die Landschaft rundherum ist zerstört, die Menschen tot, Hockens Familie plündert die Häuser der Toten in den Tagesstunden um zu überleben. Ab dem Moment, in dem das Radio nicht mehr sendet, sind sie ohnehin auf sich alleine gestellt. Nach einigen Tagen wird die letzte Zigarette geraucht, das Päckchen, als wehmütiger letzter Rest von Zivilisation, verbrannt und Nats Frau fragt: „Ob uns Amerika nicht helfen kann? Sie sind doch immer unsere Verbündeten gewesen, nicht wahr? Amerika wird sicherlich etwas unternehmen.“

In dieser resümierten Kurzgeschichte von Daphne du Maurier sind die Vögel in ihrer Einigkeit und ihren abrupten Attacken ein symbolisches Symptom der Angst in einem verschleppter Krieg, der niemals richtig aufgehört hat und nun jederzeit, in neue Polaritäten eingespannt, schlagartig über die Menschheit hereinzubrechen droht. Bei Hitchcock, dem diese Novelle unverkennbar als Vorlage für seine „Birds“ von 1963 gedient hat, war der Angriff der Vögeln Teil einer Art tiefenpsychologischen Schnulze über Mutter- und Sohnbeziehungen und Verlustängste. Die einzige Szene, welche auf die Lenkung der Vögel durch einen „Führer“ hinwies, wurde gestrichen. Bei du Maurier jedoch ist die Topographie des Kalten Krieges überdeutlich, es scheint als nehme sie Szenen aus Filmen wie „When the Wind blows“ und „The day after“ vorneweg. Sind die Vögel bei Hitchcock gewalttätige Boten aus seelischen Regionen, deren Tiefen uns nicht zugänglich sind, sind sie bei du Maurier in ihrer Gelenktheit durch viele Bemerkungen im Text als Invasoren angezeigt, die mit dem „Ostwind“ kommen, und eine Angst verkörpern, die sehr wohl eine Richtung kannte. Die deutschen Bombenattacken, die V2, die Nat Hocken in Plymouth erlebt hatte, werden übertroffen durch eine befürchete neue Invasion, die in ihrer Imagination noch viel totaler ist.

1958 mussten sich die Spatzen Chinas ähnlich wie du Mauriers Bewohner der britischen Küste gefühlt haben. In Maos Lyrik war der Spatz, entgegen anderer Vögel ein Symbol für den Verrat, für das mediokre Übel. So war es kein Wunder, als der Spatz, zusammen mit den Ratten, Mücken und Fliegen, zu den vier Plagen gezählt wurde, deren Untergang Mao am 18. Mai 1958 am Parteitag beschlossen hatte. Spatzen, das wusste Mao und seine Berater, frassen dem Volk die Ernte weg, sie mussten ausgelöscht werden. Mao hielt nichts von Oberflächlichkeiten, dass sei, so sagt er in einem seiner Gedichte, wie wenn man, so besagt ein weiteres Poem Maos, mit „geschlossenen Augen Spatzen scheuche“: Zur Vernichtung der Spatzen sollte das ganze Volk aufgeboten werden. Jeder Einwohner Chinas ab fünf Jahren war zur Vogeljagd verpflichtet worden. Die Historikerin Judith Schapiro beschreibt in ihrem Buch „Mao’s War against Nature“ den ersten Feldzug gegen die Spatzen als eine landesübergreifend simultane Aktion, die verhindern sollte, dass die Vögel irgendwo Ruhe fänden. Und so begannen 600 Millionen Chinesen unter Maos Befehl zeitgleich damit, Vögel von den Bäumen zu schiessen, mit Schleudern und Gewehren, Lärm zu machen mit Trommeln und Zimbeln, dass die Vögel sich nirgendwo niederlassen konnten bis sie vor Erschöpfung vom Himmel fielen. Über die Aktion wurde Buch geführt: In Peking waren in zwei Tagen 401'160 Spatzen getötet worden. Nach der Verfolgung waren die Vögel für Jahre verschwunden. Gesalzener Spatz am Stock, eine Spezialität, war nicht mehr zu bekommen, Künstler, die sich auf das Spatzen zeichnen spezialisiert hatten wie andere auf Pferde, oder Fische, trauten sich nicht mehr ihre Bilder zu zeigen.

Bald zeigten sich verheerende Folgen des Erfolges: Das Ökosystem kippte, die Insekten, welche die Spatzen zuvor zuverlässig vernichtet hatten, trugen das ihrige bei zur ohnehin schlechten Nahrungslage: Chinas grosser Schritt nach vorne führte zu einer Hungersnot, die von 1959 bis 1961 mehr als 30 Millionen Menschen das Leben kostete. 1960 konnten Wissenschaftler Mao davon überzeugen, dass er die Spatzen falsch eingeschätzt hatte, die Spatzen wurden in der Liste der vier Plagen durch die Wanzen ersetzt. Die Vogeljagd wurde offiziell für beendet erklärt.

In den Gedichten Maos liess sich jedoch keine Veränderung erblicken. 1965 schrieb Mao ein Gedicht, dass ganz China auswendig lernen sollte. Es ist, was den Vortragenden in ganz China Kummer bereitet hat, das vulgärste von Maos Gedichten, das „Gespräch zwischen zwei Vögeln“, einem „Riesenvogel“ und einem Spatzen inmitten des Krieges, Granaten fliegen umher, „Geschützfeuer steigt zum Firmament“. Der Spatz schwärmt von der Flucht in den Gulasch-Kommunismus Russlands („Auch zu essen gibt es dort,
Kartoffeln, schon fertig, Und Rindfleisch dazu.“), Doch der Riesenvogel weist ihn in die Schranken, für ihn, den Umwälzer, den wahren Revolutionär, ist Ernährung nur eine Nebensache der Verdauung:

,,Hör‘ auf mit diesem Furz! Sieh‘, die Welt wird umgewälzt!“


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