Freitag, 8. Oktober 2010

Paranoide Semantik II: Subliminale Werbung


Zum ersten Mal von subliminalen Botschaften erfahren habe ich im Kirchengemeindehaus von M. In der Ecke für Beratungsliteratur stand ein Buch mit Vorwort von Cliff Richard, das sowohl sämtliche namhaften Songtexte satanistischer Natur fein säuberlich übersetzt enthielt, als auch minutiöse Verweise auf harmlosere Rocksongs, die, liess man sie rückwärts laufen, erkennen ließen, dass hier Botschaften rückwärts aufgenommen worden waren, die Jugendliche bestenfalls geheime Informationen („Paul is dead“) geben sollten, oder (schlecht) Anweisungen wie sie ihre Eltern oder sich selbst massakrieren sollten. Durch diffundiertes Kinderwissen wusste ich, dass „Judas Priest“, eine Metall-Band, angeblich durch solche Techniken in den USA bereits zwei Jugendliche getötet hatten, was meinen Nachbarsjungen ebenfalls dazu veranlasste, mir das Lied „Better By You, Better Than Me“, in dem die angebliche Aufforderung zum Selbstmord („Do it!“) enthalten war, mehrere Male vorzuspielen. Es hat nicht gewirkt.

Seinen Ursprung hat die Vorstellung, man könne mit untergejubelten Botschaften Menschen zu Aktionen bewegen, nicht in den Köpfen von besorgten Eltern aus der Provinz, sondern in der Werbebranche.Glaubt man den Erfindern des subliminal advertising um James Vicary, wurde die Methode in einem Kino in der Nähe New Yorks, im Lee Theatre, zum ersten Mal getestet. Hier wurde zum ersten Mal getestet, wie Kinozuschauer auf kurze Einspielungen („oft nur 1/3000 einer Sekunde“) reagierten: So wurden Imperative eingeblendet, der wohl bekannte Slogan, ja DER Slogan überhaupt: „Drink Coca Cola“ und „Eat Pop-Corn“. In der daruaf folgenden Pause sei der Cola-Konsum um 53%, der Pop-Corn Konsum um 18% angestiegen. Ob ersterer mit letzterem in Bezug stand, ist nicht ermittelt worden. Durch ein „Leck“ wurde die Story an die Presse weitergeleitet und im LIFE-magazine darüber berichtet. Sehr späte Ehre fand die von da an weit verbreitete Vorstellung subliminaler Massenlenkung dann im Science-Fiction-Film „They live!“ von Carpenter, der auf einer Short Story von 1963 beruht.

Die Öffentlichkeit in den USA war 1957 dadurch traumatisiert worden, dass 21 GIs sich nach dem Koreakrieg dafür entschieden hatten, nach ihrer Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft im kommunistischen Teil der Erde zu bleiben: Eine Entscheidung die, so die landläufige Meinung, nur durch maliziöse, asiatische Hirnwäschetechniken erzeugt hatte werden können. Das nun die Werber zu ähnlichen Techniken griffen, empörte die Öffentlichkeit. Die Grenzen zwischen dem feindlichen kommunistisch-asiatischen Regime und den Techniken des Marktes verwischten sich hier für kurze Zeit, die Feindstellungen wurden unklar, bedrohlich: Vicary, der sich anfänglich noch stolz als Erfinder der Methode geoutet hatte, musste seine Telefonnummer wechseln und umziehen, um nicht vom McCarthyistischen Volkszorn zerquetscht zu werden.

Demonstrieren lässt sich die potentielle Lächerlichkeit dieser „Werbekritik“ am Oeuvre von Professor Wilson Bryan Key. Wer das Kinderspiel kennt, in Strukturen an einer Holzwand Gesichter zu sehen, wer schon einmal in den Wolke ein Tier gesehen hat, kennt Professor Key Methodik: Keys Schlüssel zu subliminalen Boschaften ist die entspannte Betrachtung von Werbungen, die so lange andauern soll, bis man etwas sieht. Und der Mann und seine Studenten sahen in den 70er Jahren vor allem eines: Das Wort SEX: In beinahe jeder politischen Kampagne seit den 50er Jahren seien „SEX embeddings“ vorgenommen worden. In den mehreren tausenden Zeitungen, die er durchgesehen habe, tauche SEX dauernd auf, ab und zu auch CUNT und FUCK. Doch nicht nur in Werbungen, auch in Berichten über Vietnam ist, schaut man nur genau genug hin, das Wort Sex zu entdecken, und, wenn man noch genauer schaut, auch auf RITZ-Crackers:

„Take half a dozen crackers out of the box and line them up on the table, face upward. Now relax, and let your eyes linger on every cracker - one at a time. Do not strain to see the surface, however. Usually in about ten seconds, you will perceive the message. Embedded on both sides of each cracker is a mosaic of SEXes. (see Figure 4)“



Die Debatte um subliminale Werbung ist ein schönes Beispiel dafür, wie sich paranoide, mit Leichtigkeit vom Tisch zu wischende Vorstellungen im öffentlichen Bewusstsein festmachen, während subtilere Kritik an Wettbewerbsmechanismen – und techniken keinerlei Aufmerksamkeit erlangt. Die Methoden kamen zwar nie wirklich zur Anwendung, ihre Wirksamkeit ist auch mehr als umstritten. Sie diente der Werbebranche allerdings bereits früh als legitimatorische Kontrastfolie, also als Phantasma, an dem die Lächerlichkeit der Kritik an den persuasiven Effekten von Werbung aufzeigbar waren. So reagierte Chevrolet bereits 1959 in einem Werbespot auf die Vorstellung, Werbung bediene sich subliminaler Techniken, indem sie den „new way to send a message“ offen lächerlich machte:

http://www.youtube.com/watch?v=d61OiNipR9c&feature=related

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