Sonntag, 27. Dezember 2009

Freitag, 13. November 2009

Zabriskie Point

Man könnte annehmen,„Zabriskie Point“ sei von einem Verlangen nach Leere geprägt, nach Vernichtung aller Zivilisation. Der Held Mark stiehlt ein Flugzeug, weil er die „Erde verlassen“ will, der Gewalt der Studienrevolte den Rücken zuwenden will. In der Wüste trifft er Daria, unter noch zu beschreienden Umständen, fährt mit ihr zum Zabriskie Point, einem Naturdenkmal im Death Valley, einem Ort, der nicht, wie Daria mein, „ruhig“ ist, sondern „tot“ wie Mark meint. In einem stillgelegten Minenschacht findet er ein Stück Salz in Scheibenform, sagt, dass sei das einzig, was von den Goldgräbern übriggeblieben sei. Daria leckt mit ihrer Zunge an diesem zur Leiche imaginierten Mineral, hier, am Ort des Toten, nach der Auffindung diees Toten küssen sie sich zum ersten Mal, lieben sich im Staub der Wüste. Am Schluss kehrt Mark zurück, er will das Flugzeug, durch Bemalung entstellt, zurückgeben, dabei wird er erschossen. Daria fährt zu der Verkaufsverhandlung, zu ihrem Chef, zur der sie ursprünglich unterwegs gewesen war, nachdem sie aus dem Radio erfahren hat, dass Mark tot ist. Die Konferenz findet in einem Bungalow weit ab der Zivilisation statt, neben eine Quelle gebaut. Daria schleicht sich ins Haus, an den Ehefrauen der Verhandelnden vorbei, die am Swimming Pool in der Wüste plaudern, während ihre Männer über den Verkauf von Wüstenland verhandeln, das besiedelt werden soll. Daria schleicht am Pool vorbei zur Quelle des Wassers, die von einem Felsen rinnt, stellt sich ins Wasser und weint. Nachher geht sie ins Haus, wird von ihrem Boss freundlich zu ihrem Zimmer gewiesen. Unten, auf ihrer Etage angekommen, lächelt sie der indianischen Putzfrau zu, offensichtlich scheint sie sich ihr verbunden zu fühlen, so wie sie den reinen Fels dem Pool vorzog. Am Schluss rennt sie aus dem Haus, schaut zurück, und erträumt die Explosion des Hauses. Danach geht sie in den Sonnenuntergang. Dieser Wunsch, das Haus in die Luft zu sprengen lässt sich als reinste Zivilisationskritik verstehen, als Begehren der Entfernung der erbauenden Menschheit vom Planeten, als Schlag gegen die unaufhaltsame Fronteer, die immer weiter vordringt.

Nach der Explosion des Hauses werden jedoch noch andere Explosionen eingeblendet: Der Regisseur Antonioni lässt Bibliotheken explodieren, Fernseher, Kühlschränke. Und gerade in dieser demonstrativsten aller Kritiken, in der gewalttätigen Vernichtung, subvertiert der Film seine eindeutige Botschaft. Die sensationellen Slow-Motion-Aufnahmen der Kultursplitter, die offensichtliche Freude, die der Regisseur an diesen Explosionen empfinden haben mag, zeigen, dass es hier zwar um eine Sehnsucht nach Gewalt, nach Ver-Nichtung von Kultur geht, die aber stehen bleibt, der Versplitterung fasziniert beiwohnt, den diamantenen Splittern des Fernsehbildschirms genauso gebannt nachsieht wie dem flatternd zerfetzten Barsch und dem geköpften Hummer. Hier wird auch klar, wie die erste Begegnung von Daria und Mark zu verstehen ist: Ihr Vorspiel beginnt damit, dass Mark, genau wie die Explosionen, repetittiv über Daria hinwegfegt in seinem gestohlenen Flieger, sie aus den Lüften angreift, fast streift, während sie in einem Auto durch die Wüste fährt. Sie berühren sich jedoch nicht, ihre Maschinen, die sie beide von der Zivilisation wegbringen sollten, geben ihrer geben ihrer Annäherung eine erotische Beschleunigung, sind Mittel eines technischen Streichelns im menschenleeren Raum. Es geht nicht um leere, sondern um die behinderungsfreie, dezentrierte Mobilität aller Teile, um ein unverhersehbares Begegnen von Menschen und Dingen. Die Ästhetik der Explosion enthält sicherlich das Begehren nach der Zerstörung der Konsumgesellschaft, deren Insignien sie hier vernichtet, aber der lang anhaltende Blick zeigt, dass das Spiel mit der Technik weit mehr Freude bereitet als reruralisierende Projekte: In der ersten Szene wird Mark gezeigt, wie er den langweiligen basisdemokratischen Diskussonen an der Uni den Rücken zuwendet, „Diskussionen sind nicht sein Ding“. Er wendet sich von der Politik als Diskussion ab, wozu, wie einer nach seinem Abtritt sagt, sogar Anarchisten fähig sein müssten. Wenig später sieht man ihn im Waffenladen, wo er die Waffe kauft, die er nie anwendet. Mark bleibt in der Schwebe zwischen gemeinschaftlicher Politik und gewalttätiger Radikalität stecken, in einem Spiel der Teile, in dem gebannten Hoffen, dass irgend ein Ding ihn kreuzt.

Diedrich Diedrichsen schreibt in seinem Nachruf auf Antonioni, der Film sei eine „Reise durch die Idee der Politisierung“. Beginnt er bei den Black Panthers, mit einem Kampf gegen rassistishe Unterdrückung, endet er mit dem Tod für einen sinnlosen Potlatchversuch, ein bunt bemaltes Flugzeug zurückzuschenken und der Faszination an der Ästhetik imaginierter Gewalt.


Mittwoch, 4. November 2009

Swissness I: Schlaraffenland Schweiz

Diese Karrikatur erschien im Blick vom 7.12.2008 unter dem Titel "Lieber stempeln als chrampfen". Nur schon der 1. Unter-Titel spricht Bände, stellt er sich doch bereits mitten in die "Debatte": Arbeiten, malochen, wird auf Schweizerdeutsch mit "chrampfen" beschrieben, dessen Gegenpol des "Stempeln" natürlich auf hochdeutsch geschrieben ist: "RAV-gierige Deutsche" ist der Haupttitel, spielt an auf das "Regionale Arbeits-Vermittlung": SChweizer Institutionen, von Deutschen schamlos ausgenutzt:" Die "Schweiz ist das Schlaraffenland der Deutschen. Wenn sie erst mal hier sind, wollen sie nie mehr weg. Erst recht nicht, wenn sie arbeitslos werden." Im Bild selbst wird der Bauch des Deutschen vor einem Arbeitsamt in den Mittelpunkt gestellt, sozusagen als Erkennungsmerkmal "karrikiert" hervorgehoben. Der Bauch bezeigt, wie im Titel angedeutet ist, den Status der Deutschen in der Schweiz: Derjenige von Schmarotzern, die darüber, arbeitslos zu sein, nicht wie die Schweizer mit Augenringen und gebeugter, ja gedemütigter Haltung reagieren, sondern mit einem herausgereckten Bäuchlein, und einem entseelteen Grinsen im Gesicht.
Die Nennung des Schlaraffenland bringt zweierlei zum Ausdruck: Einerseits natürlich die Diskreditierung des Genusses von Zuwendungen ohne dafür zu arbeiten: In einer übertriebenen Lesart bestärkt die Redewendung vom Schlaraffenland aber auch, dass die Schweiz ein Land nicht von dieser Welt ist, ein begehrenswertes Utopia für alle Fremden, die es sich gut gehen lassen wollen. Diese Perspektive teilt ganz klar ein: Während es für die Eingesessenen ein durch Geburt und Leistung erarbeitetes Recht ist, hier in diesem Land zu wohnen, in dem Milch und Honig fliessen, ist es für diejenigen, die in den anderen, in Bezug auf ökonomische Faktoren und, glaubt man aktuellen Rankings, auch betreffend der Lebensqualität schlechter situierten Ländern, ein ersehntes Schlaraffenland, in dass sie sich wünschen. Der Alarmismus gegenüber der Fremden, derein einziges BEgehren eine Aufenthaltsgenehmigung in der SChweiz ist, ist immer auch lobender Heimatklang. Die Rede vom Schlaraffenland reiht sich ein in ein nun seit bald 100 Jahren wirkungsvolles Narrativ von der Schweiz als Heimstatt der Vertriebenen, eine Perspektive, die metaphorisch immer wieder zu kippen droht und zu einem vollen Boot werden kann, im Sturm des Krieges/Finanzkrise/EU-Steuerpolitik.
Im Blick-Artikel wird einer jener "RAV-gierigen" Deutschen zitiert,
"die sich wie im Schlaraffenland fühlen.""Viereinhalb Jahre arbeitete er in Zürich als Koch. Im Juli erhielt er die Kündigung, seit zwei Monaten ist er arbeitslos. Heimkehren will er auf keinen Fall: «Mit dem Arbeitslosengeld kann ich super leben. Ich habe es nicht eilig, einen Job zu finden.» Er weiss: Um volles Arbeitslosengeld zu bekommen, muss er nur nachweisen, dass er sich regelmässig bewirbt. «Ich mach das nach Plan und bewerbe mich auf Stellen, wo ich sicher eine Absage kriege.» Damit ist ein medial erscheinender Parasit erstmals in der Schweiz aufgespürt, der auf unserem Boden eigentlich nicht gedeiht: der schmarotzende Leistungsbezüger. Denn SChweizer, so beweist es auch das Bild an, schämen sich, sind bedrückt, wenn sie etwas vom Staat beziehen müssen, sie bücken sich vor Gram: Mit Sven D. ist jene Form von Langzeitarbeitslosen eingewandert, die wir Schweizer bisher nur aus dem Fernsehen kennen: Arbeistunwillige Arbeitslose, die ohne jegliche Lust und Anreiz zum Arbeiten das System ausnutzen. Es ist letztlich das selbe Spiel, dass Sat1 und RTL vor der Einführung von Hartz IV zu Genüge betrieben haben: Einzelfälle werden zu Hauptvertretern gemacht, mit der Illusion des Dokumentarischen ("Es gibt sie wirklich!") wird aus das einzelne Exemplar zum exemplarischen Fall erhoben. Interessant ist, dass damit ein Transfer passiert: "Der Deutsche" als der herrische Boss, als der er zum Problem wurde, als der ausländische Vorgesetzte taucht als lumpenproletarischer Widergänger, als der staatszersetzende, zufriedene Arbeitslose (oder wie soll man das Grinsen auf der Karrikatur sonst deuten) wieder auf. Damit wird auch die "Integration" der Deutschen zu den generellen Ausländern vollzogen: Deutsche stehen nun gleich auf gleich mit türkischen "Scheininvaliden", nordafrikanischen "Scheinasylanten", albanischen "IV-Betrügern" und all jenen zur stereotypischen Exemplarität hochgeredeten - und geschriebenen Figuren, die das Traumland Schweiz schamlos ausnutzen. Was in einer Problematisierung von systemisch legitimer Arbeitsplatzkonkurrenz mit einem dicken Hauch Ressentiment begann, wird so zu einer Pauschalverurteilung als (potentiell) illegitimer Leistungsbezüger.