Mittwoch, 4. November 2009

Swissness I: Schlaraffenland Schweiz

Diese Karrikatur erschien im Blick vom 7.12.2008 unter dem Titel "Lieber stempeln als chrampfen". Nur schon der 1. Unter-Titel spricht Bände, stellt er sich doch bereits mitten in die "Debatte": Arbeiten, malochen, wird auf Schweizerdeutsch mit "chrampfen" beschrieben, dessen Gegenpol des "Stempeln" natürlich auf hochdeutsch geschrieben ist: "RAV-gierige Deutsche" ist der Haupttitel, spielt an auf das "Regionale Arbeits-Vermittlung": SChweizer Institutionen, von Deutschen schamlos ausgenutzt:" Die "Schweiz ist das Schlaraffenland der Deutschen. Wenn sie erst mal hier sind, wollen sie nie mehr weg. Erst recht nicht, wenn sie arbeitslos werden." Im Bild selbst wird der Bauch des Deutschen vor einem Arbeitsamt in den Mittelpunkt gestellt, sozusagen als Erkennungsmerkmal "karrikiert" hervorgehoben. Der Bauch bezeigt, wie im Titel angedeutet ist, den Status der Deutschen in der Schweiz: Derjenige von Schmarotzern, die darüber, arbeitslos zu sein, nicht wie die Schweizer mit Augenringen und gebeugter, ja gedemütigter Haltung reagieren, sondern mit einem herausgereckten Bäuchlein, und einem entseelteen Grinsen im Gesicht.
Die Nennung des Schlaraffenland bringt zweierlei zum Ausdruck: Einerseits natürlich die Diskreditierung des Genusses von Zuwendungen ohne dafür zu arbeiten: In einer übertriebenen Lesart bestärkt die Redewendung vom Schlaraffenland aber auch, dass die Schweiz ein Land nicht von dieser Welt ist, ein begehrenswertes Utopia für alle Fremden, die es sich gut gehen lassen wollen. Diese Perspektive teilt ganz klar ein: Während es für die Eingesessenen ein durch Geburt und Leistung erarbeitetes Recht ist, hier in diesem Land zu wohnen, in dem Milch und Honig fliessen, ist es für diejenigen, die in den anderen, in Bezug auf ökonomische Faktoren und, glaubt man aktuellen Rankings, auch betreffend der Lebensqualität schlechter situierten Ländern, ein ersehntes Schlaraffenland, in dass sie sich wünschen. Der Alarmismus gegenüber der Fremden, derein einziges BEgehren eine Aufenthaltsgenehmigung in der SChweiz ist, ist immer auch lobender Heimatklang. Die Rede vom Schlaraffenland reiht sich ein in ein nun seit bald 100 Jahren wirkungsvolles Narrativ von der Schweiz als Heimstatt der Vertriebenen, eine Perspektive, die metaphorisch immer wieder zu kippen droht und zu einem vollen Boot werden kann, im Sturm des Krieges/Finanzkrise/EU-Steuerpolitik.
Im Blick-Artikel wird einer jener "RAV-gierigen" Deutschen zitiert,
"die sich wie im Schlaraffenland fühlen.""Viereinhalb Jahre arbeitete er in Zürich als Koch. Im Juli erhielt er die Kündigung, seit zwei Monaten ist er arbeitslos. Heimkehren will er auf keinen Fall: «Mit dem Arbeitslosengeld kann ich super leben. Ich habe es nicht eilig, einen Job zu finden.» Er weiss: Um volles Arbeitslosengeld zu bekommen, muss er nur nachweisen, dass er sich regelmässig bewirbt. «Ich mach das nach Plan und bewerbe mich auf Stellen, wo ich sicher eine Absage kriege.» Damit ist ein medial erscheinender Parasit erstmals in der Schweiz aufgespürt, der auf unserem Boden eigentlich nicht gedeiht: der schmarotzende Leistungsbezüger. Denn SChweizer, so beweist es auch das Bild an, schämen sich, sind bedrückt, wenn sie etwas vom Staat beziehen müssen, sie bücken sich vor Gram: Mit Sven D. ist jene Form von Langzeitarbeitslosen eingewandert, die wir Schweizer bisher nur aus dem Fernsehen kennen: Arbeistunwillige Arbeitslose, die ohne jegliche Lust und Anreiz zum Arbeiten das System ausnutzen. Es ist letztlich das selbe Spiel, dass Sat1 und RTL vor der Einführung von Hartz IV zu Genüge betrieben haben: Einzelfälle werden zu Hauptvertretern gemacht, mit der Illusion des Dokumentarischen ("Es gibt sie wirklich!") wird aus das einzelne Exemplar zum exemplarischen Fall erhoben. Interessant ist, dass damit ein Transfer passiert: "Der Deutsche" als der herrische Boss, als der er zum Problem wurde, als der ausländische Vorgesetzte taucht als lumpenproletarischer Widergänger, als der staatszersetzende, zufriedene Arbeitslose (oder wie soll man das Grinsen auf der Karrikatur sonst deuten) wieder auf. Damit wird auch die "Integration" der Deutschen zu den generellen Ausländern vollzogen: Deutsche stehen nun gleich auf gleich mit türkischen "Scheininvaliden", nordafrikanischen "Scheinasylanten", albanischen "IV-Betrügern" und all jenen zur stereotypischen Exemplarität hochgeredeten - und geschriebenen Figuren, die das Traumland Schweiz schamlos ausnutzen. Was in einer Problematisierung von systemisch legitimer Arbeitsplatzkonkurrenz mit einem dicken Hauch Ressentiment begann, wird so zu einer Pauschalverurteilung als (potentiell) illegitimer Leistungsbezüger.

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