Sonntag, 10. Januar 2010

Rückkehr des Archetyps: "Die Deutschen" als konstitutives Aussen

Es scheint, als hätte die Schweizer Volkspartei mit der Minarettinitiative nur abklären wollen, wie offen das dunkle Herz der Schweizer für diffuse fremdenfeindliche Rhetorik ist. Denn vom Islam spricht die SVP längst nicht mehr. Die SVP versucht nun einen emotionalen Transfer zu vollziehen, die Angst vor dem Islam zu verteilen auf andere ausländerpolitische Kampagnen. Eine betroffene Gruppe dieses Aktionismus im Siegestaumel sind „die Deutschen“. Der antideutsche Diskurs wurde seit der erleichterten Einreise aus der EU durch die bilateralen Verträge von den Medien stark geschürt. Online-Artikel zu „den Deutschen“ hatten jeweils hunderte von Leserkommentaren, in denen sich Schweizer über die Deutschen äusserten. Lange hat sich die SVP hier zurückgehalten, bis Frühling 2009 attestierten sogar SVP-Grössen wie Christoph Mörgeli den Deutschen durchaus kulturelle Kompatibilität mit der Schweizer Volksmasse. Doch spätestens seit Peer Steinbrück im Steuerstreit im März 2009 den steuerhinterziehenden Schweizer „Indianern“ mit der „Kavallerie“ gedroht hatte, zeigte sich ein Kurswechsel an. Der christdemokratische Schweizer Abgeordnete Thomas Müller sah sich im Nationalrat bemüssigt, Steinbrück, „in aller Offenheit“ als den neuen „hässlichen Deutschen“ der ihn an „jene Generation von Deutschen“ erinnere, „die vor 60 Jahren mit Ledermantel, Stiefel und Armbinde durch die Gassen gegangen sind.“ Damit wurde eine Deutschen-Bild bemüht, dem die Schweiz seit 1939 ihre Form des antifaschistischen Nationalismus verdankt: An der Landesausstellung 1939 in Zürich wurde erstmals jener nationale Abwehrkonsens ausformuliert, der jede fremdenfeindliche Abschottung als legitime Verteidigung des Eigenen und des Guten vor dem Aggressor ummäntelt. Die nützliche Buhmannrolle Nazideutschlands wurde nach 1945 an die Kommunistische Internationale weitergereicht. Nachdem auch dieses Reich untergegangen war, übernahm ab 1989 die EU diese Rolle. Es mag bezeichnend sein, dass der Kriegsausbruch durch die Schweizer Armee auch 2009 wieder durch Paraden gefeiert wurde. Gegen Ende Dezember 2009 kehrte die SVP in ihrem Kampf gegen „Immer mehr ausländische Arroganz!“ mit der Angst vor den Deutschen an die Wurzeln der Schweizerischen Identitätsfindung zurück. In einem Inserat werden nicht nur kriminelle Ausländer, sondern auch „ausländische Ellbögler“ agesprochen:"Deutscher Filz macht sich breit. Denn Deutsche stellen vor allem Deutsche an - an der Uni und in den Spitälern." Illustriert ist das Inserat mit einem lachenden Peer Steinbrück, der von Bundesrat Rudolf Merz angelächelt wird. „Die Deutschen“ sind wieder zum prototypischen Ausländer geworden.


In einer bisher beispielslosen Aktion haben über 200 Professoren und Professorinnen der Universität Zürich noch im Dezember ein Inserat veröffentlicht, in dem sie sich gegen die Form dieser Vorwürfe zur Wehr setzen und betonen, das die Universität zur Vielfalt steht. Auch werfen sie der SVP „Rassismus“ gegen Deutsche vor.

Man möchte bewundernd von publizistischem Judo sprechen: Wenige Tage später veröffentlich die SVP erneut ein Inserat mit dem Titel „Sind die Deutschen eine Rasse?“ Einerseits wird mit einer Statistik gezeigt, dass immer mehr Deutsche an der Universität Zürich angestellt werden, was den „Filz“ beweisen soll. Andererseits äussern sich die „gewöhnlichen Bürger“, als die sich die Inserenten stilisieren, ein gespieltes Erstaunen darüber, dass die Deutschen eine Rasse sein sollen, die vom Rassismus betroffen sein könne. Der Rassismusvorwurf wird damit gekontert, zu suggerieren die eigentlichen Nazis seien die Professoren. „Aber es waren ja schon damals die hohen Professoren, die den Rassen-Aberglauben in die Welt gesetzt haben.“

Die SVP agiert tatsächlich nicht streng genommen rassistisch im Sinne einer NSDAP: Sie behauptet keine genetischen Prägungen. Die „gewöhnlichen Bürger“ in der Schweiz bemühen nur einen kulturellen Rassismus: Nicht Rasse, sondern Mentalität und Kultur werden in ihren Kampagnen regelmässig zu unveränderlichen Grössen gemacht, die der „Integration“ entgegenstehen. Sei dies bei Italienern in den 70ern, Menschen aus Ex-Jugoslawien in den 90ern, Muslimen 2009 oder nun deutschen Akademikern 2010. Während alle anderen rechtspopulistischen Parteien Europas irgendwann einmal mit der faschistischen Vergangenheit Europas geliebäugelt haben, ist dies bei der SVP nie vorgekommen. Offen mit völkischen Ideen zu flirten, würde, die Kernlegitimation der genuin Schweizerische Konstruktion des „Volks“ zerstören. Jede fremdenfeindliche Äusserung wird hier zur „Geistigen Landesverteidigung“, deren Ziel die Stärkung des „Volkes“ gegen die Infiltration gegen das böse, faschistoide Aussen ist. Fremdenfeinde haben sich in der Schweiz seit den 60er Jahren stets bemüht, klar zu machen, dass sie keine Rassisten seien. Denn der „Rassist“ das ist der andere, das ist der Deutsche.

Bild einer Rutschbahn an der Landesausstellung 1939, das Publikumsmagnet für die ganze Schweizer Familie:

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