Montag, 4. Januar 2010

semiotik und paranoia

die semiotik der 50er und 60er jahre war einer ideologiekritischen perspektive verpflichtet, roland barthes vermochte in einem steak die wahrheit der zeit enthüllen. diese enthüllungspraxis ist zugleich aber, das macht paul boussiac stark, auch einer lyrischen perspektive auf den alltag verpflichtet. die quellen hier sind weniger struktrualistische, sondern surrealistische texte wie andré bretons "nadja" oder louis aragons "paysan de paris". (Paul Boussiac: Semiotics and surrealism. in: Semiotica 25, 1/2 1979, S. 45-58.) diese texte sind geprägt von einer fixierung des gegenstandes bis zu dem mass, dass er sich in etwas anderes verwandelt. unbefriedigt von der trennung eines unterbewussten traumraums und eines realen lebensraums warfen die surrealisten einen blick auf das alltägliche, der es vor ihren augen verwandelt. so verwandelt sich unter aragons erzählendem blick das leben in der "passage de l'opera" in eine unterwasserwelt, in der feilgebotene spazierstöcke sich in wehendes seegras verwandeln. was hier stattfindet ist eine semiose als präsente zeichenwerdung. die surrealisten verrwerteten nicht nur material, dass ihrem traumraum entsprang, sondern versuchten in einer augurischen technik die wahrheit des alltags genau in dieser traumhaften verzerrung zu entblössen. die semiotik verfolgt eine ähnliche strategie: alles wird ihr zum zeichen, dass es zu erläutern und dessen verwobenheit in ideologische strukturen es aufzuzeigen gilt. versprechen der semiotik ist letztlich auch eine im verständnis der zeichen die welt und ihre machtverhältnisse zu begreifen. in diesem sinne ist semiotik im wahrsten sinn auf-klärung und psychoanalyse: die zeichen wirken nicht mehr in einem gesellschaftlichen unbewussten, sondern werden enthüllt und insofern auch in ihrer wirkmächtigkeit gestoppt.

diese befreiende deutungspraxis hat auch eine nahe verwandtschaft zur paranoia und zur schizophrenie. filme über schizophrenie, wie z.b. "a beautiful mind" zeigen oft dasselbe szenario: ein verlassenes zimmer über und über beklebt mit zetteln,zeitungsschnipseln, die um sich um ein einzige frage drehen, auf die man die antwort in bedeutungsvollen zeitungsartikeln und niedergekritzelten alltagsbegebenheiten sucht. dieser verzweifelte versuch, über die deutung aller möglichen zeichen - die nur wenige sehen - auf die wahrheit zugreifen zu können, findet ihre anhänger auch in der florienden ausgestatung von verschwörungstheorien im internet. die deutung der form von rauch über den türmen von 9/11 ist eine schöne veranschaulichung für jenen surrealistischen blick, der hier die wahrheit enthüllen sollte.

ein exemplar von paranoider semiotik habe ich im blogger "vigilant citizien" gefunden, der esoterisches bildwissen, d.h. alte symboliken, um die popkultur nach hinweisen auf eine weltherrschaft der illuminaten abzusuchen. die akribie seiner analysen gleich wissenschaftlichen, vermischt sich aber auch selbstverständlich mit antisemitischen verschwörungstheorien und verspricht den wenigen, die sich hier bilden, eine klarere perspektive auf die welt.

http://vigilantcitizen.com

der erfolg von - als halbdokumentarisch - aufgefassten büchern wie dem "da vinci code" zeigt, dass der paranoide blick, eine primitive semiotik mit allmachtanspruch, noch heute zum interessengebiet vieler gehört: zeigt sich doch hier bequem im eigentlich sichtbaren und bloss entschlüsselbaren die wahrheit der welt offen.

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