Donnerstag, 8. Juli 2010

Herrscherkörper I: Die zwei Körper der Gaga

Wie schon Madonna debüttierte Lady Gaga am VM-Award, jenem Anlass, an dem auch Madonna zur “Queen of Pop” gekrönt wurde. Debüttantin. Die Gaga sang ihren Song “Paparazzi”, im Verlaufe dessen sie blutüberströmt über die Bühne torkelte. Sang Madonna noch über den Verlust ihrer Jungfräulichkeit, so präsentiert sich Gaga dem Hof als Abgestochene. Im Videoclip zu „Paparazzi“ wird deutlich, wer sie tötet: der mediale Blick. Im Clip wird sie von ihrem Lover im Liebesspiel von der Balustrade des Schlafzimmers gestossen, damit sie von den Paparazzi besser gefilmt werden kann. Den Kameras vorgeworfen bleibt Gaga liegen, im Blitzgewitter. Den Rest des Videos durchtanzt sie an Krücken. Am Schluss des Videos des Videos vergiftet sie ihren verräterischen Freund, weswegen man sie im folgenden Videoclip, “Telephone” im Knast sieht. Von zwei Mannsweibern in Uniform wird sie in die Zelle geführt, ausgezogen und auf die Pritsche geworfen: Gekrümmt in Embrionalstellung entblösst sich Lady Gagas Geschlecht von hinten, mit Pixeln zensuriert wird das Aufscheinen des Intimen noch verstärkt. Lady Gagas Körper wird in seiner totalen Ausgeliefertheit an fremde Blicke gezeigt, ihre Blösse steht im Mittelpunkt dieser Sequenz. Dieser Anblick wird von einer der Wärter-Butches mit “I knew she had no X” explizit thematisiert und nimmt so explizit auf die rege öffentliche Diskussion Bezug, ob Lady Gaga ein Transvestit sei.

Nicht dass Blut und zensierte Gechlechtsteile auf MTV an sich schon Anlass zum Nachhaken bieten würden. Doch bei dem hohen Stilisierungsgrad, der Lady Gaga auszeichnet, lohnt es sich womöglich, tiefer in die Mottenkiste der Kulturgeschichte zu greifen. Gagas Gegenüberstellung von einem verletzbaren, leiblichen Körper und einem zweiten medial inszenierten Vorzeige-Körper, erinnert ein wenig an die Untersuchungen königlicher Doppeldeckergräber des Kunsthistorikers Ernst Kantorowicz These. Kantorowicz hat herausgearbeitet, dass dem König, dem herrschenden Souverän, zwei Körper eigen waren: Ein sterblicher und ein medialer, repräsentativer. So wurde an den Königsbeerdigungen, die Kantorowicz historisch untersucht hat, dem königlichen Leichnam im Sarg stets seine Effigie vorangetragen, der zweite Körper des Königs, der seine repräsentative Macht verkörperte. Eine weitere Repräsentation dieser Doppeltheit des Herrscherkörpers zeigt sich in der Darstellung von “Doppeldeckergräbern”: Auf der unteren Ebene wird der verwesende, von Würmern durchzogene Leib dargestellt, über dem auf einer oberen Ebene der ewig währende, repräsentative Körper ausgestellt ist.

Diese Gegenüberstellung eines Bildkörpers, eines repräsentativen Medienkörpers und eines leiblichen Körpers scheint mir für das Verständnis von Lady Gagas Präsentation ihres verletzlichen Körpers wesentlich zu sein. In Interviews erzählt Lady Gaga über sich, wie sie in der High School als Übergewichtige gehänselt wurde, mit einer grossen Nase, braunem Kraushaar: Alles Körpereigenschaften, die nicht mehr vorhanden sind. Dieser gehänselte Körper ist überwunden, der Starkörper erreicht: In einem weiteren Interview mit der COSMOPOLITAN erweitert Gaga das Ausmass dieser Überwindung drastisch:

“I am dead right now, as you are speaking to me. (…) I am like Tinker Bell, she tells the adoring crowd, as she lies belly-down on the stage with her feet up behind her. “You know how she dies if you don’t clap for her? Scream for me! Do you want me to die?”

Laut Lady Gaga lebt nur noch ihr medialer Körper wirklich, der betrachtete, bewunderte Performancekörper, der öffentlich zur Schau gestellt wird. Dass Lady Gaga sich maskiert, ihren realen Körper verschwinden lässt ist eine einfache Konstante des Showbusiness. Dass sie ihren verletztlichen, angeblich toten Körper von Anfang an in den Mittelpunkt des Blicks gesetzt hat, ist jedoch bemerkenswert. Doch wäre es wohl falsch, in dieser durchkomponierten Selbstdarstellung der eigenen Verletzlichkeit eine medienkritischen oder gar feministische Protestnote zu sehen, in der für das reale Leben abseits der Bühne um Verständnis und Aufmerksamkeit geworben wird. So lässt sich sicher Britney Spears Schädeleigenrasur verstehen, doch der Gaga geht es kaum darum, auf das verletzliche Mädchen zu verweisen, dass sie halt auch irgendwie ist. Vielmehr wird der nackte, der verletzte Körper in den Reigen der Zeichen integriert, wird dem erfolgreichen Bildkörper nur als bereits verlassener, überwundener Körper beigesellt. Das ist keine Kritik der Blindfelder medialer Scheinwelten, sondern gerade ihre Feier. Gerade im Zeigen des schwachen Körpers im Clip und auf der Bühne wird die reale Souveränität als der Welt enthobenes Medienwesen noch bestärkt: Ja, ich habe/hatte einen Körper, der zerstörbar ist, doch mein eigentliches Leben findet nicht darin statt. Ja, ihr richtet eure Kameras auf diesen Körper, doch mein Körper ist derjenige, dessen Inszenierung ich selbst überwache. Gerade dadurch dass Lady Gaga die eigene Verletzlichkeit nicht in den psychologischen Hinterstuben des Realen stattfinden lässt, sondern in Videoclips integriert, sie benutzt zur Attraktivierungssteigerung ihres medialen Körpers, schafft sie eine vollkommene Souveränität des Spektakels, die vollkommen aufgeht: Selbst Gerüchte, wie jenes, dass Gaga an Anorexie leide und sich ausschliesslich von Babynahrung ernähre, oder jenes, dass sie eigentlich ein Transvestit sei, werden als Teil ihrer Selbstinszenierung gelesen. Lady Gaga wird als Gesamtkunstwerk wahrgenommen, von der auch die Integration ihrer eigenen Verletzlichkeit Teil ist. Gaga wird nicht als psychologisch deutbares Wesen gelesen, dessen Privatheit ab und zu auftaucht, sondern als reine popkulturelle Oberfläche. Der selbstgewählte, selbst designte semiotische Körper erhebt sich von seinem Mängelkörper, wählt und wechselt seine Identität nach eigenem Gusto. Damit lebt Lady Gaga den Traum einer emanzipatorischen Postmoderne, wie er am Ende des letzten Jahrhunderts, von Philosophen wie Giorgio Agamben geträumt wurde, wenn er in seinem messianisch angehauchten Buch „Die kommende Gemeinschaft“ meint, dass die Unterwerfung des menschlichen Körpers unter die Kommerzialisierung und die Massenproduktion, den menschlichen Körper „von der doppelten Last des biologischen Schicksals und der individuellen Biographie befreit“.

Zum Star der Feuilletons ist Lady Gaga einerseits geworden, weil sie sich als Bildersuchrätsel von Verweisen auf die moderne Kunsttradition lesen lässt. Zugleich ist die Berichterstattung in den Kulturteilen aber auch getragen von einem leichten Schock, dass sich neben diesen Verweisen und den markige Sprüchen, die auch schon Andy Warhol gesagt haben könnte, wenig mehr findet. Der postmoderne Traum ist vorbei, die vollkommene Selbstinszenierung weckt heute jedoch keine Hoffnungen auf politische Subversion mehr, wie sie Madonna mit ihren blasphemischen Ausfallschritten zumindest noch anklingen liess. Lady Gaga ist in ihrer perfekten Inszenierung ihres Herrschaftskörpers vielmehr das beängstigende Gesicht einer Epoche, in der es kaum ein Jenseits der medialen Darstellung mehr gibt.

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